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Zürcher Integrations- und Präventionsprojekt zippsIm Jahr 2004 startete das Schul- und Sportdepartement der Stadt Zürich gemeinsam mit den Universitäten Zürich und Cambridge das «Zürcher Interventions- und Präventionsprogramm zipps». Die Ergebnisse wurden jetzt präsentiert.
Dr. Manuel Eisner, Kriminologe und Projektleiter z-proso, Universitäten Cambridge und Zürich, führte aus, dass die öffentliche Besorgnis über das Ausmass von Gewalt bei Kindern und Jugendlichen seit vielen Jahren zunimmt. Daher wird der Ruf nach Prävention und Gegenmassnahmen lauter. Obwohl inzwischen viele Programme angeboten werden, ist kaum etwas über deren Wirksamkeit bekannt. Auch gibt es in der Schweiz kaum Forschung, welche die komplexen Ursachen von Verhaltensproblemen in der Entwicklung vom Kleinkind zum Jugendlichen untersucht.
Aus diesem Grund haben die Stadt Zürich und die Universität Zürich im Jahr 2002 ein Projekt gestartet, mit dem die Wirkung von zwei Programmen der Frühprävention in Schule und Familie untersucht werden sollte. Hieraus entstand das «Zürcher Interventions- und Präventionsprogramm an Schulen – zipps», das erste Modellprojekt mit einer kombinierten Entwicklungs- und Präventionsstudie in der Schweiz. Untersucht wurden die individuellen, familiären, schulischen und nachbarschaftlichen Faktoren, die zur Entstehung und Verfestigung von Verhaltensproblemen beitragen. Im Modellprojekt geht es um die Evaluation von zwei Präventionsprogrammen, welche in einem Feldversuch realisiert wurden. An der Studie nahmen 111 Schulklassen und über 1300 Primarschulkinder aus 56 Schulhäusern der Stadt Zürich teil. Mehr als Hälfte der teilnehmenden Eltern haben einen Migrationshintergrund und spiegeln damit die kulturelle Vielfalt von Familien in heutigen Städten.
Ausmass von Gewalt und Aggression bei Kindern In der Studie wurden Eltern, Lehrpersonen und die Kinder selbst nach ihren Erfahrungen mit Gewalt befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass zu Beginn der Primarschule Gewalt und Aggression unter Kindern weit verbreitet ist. Etwa jeder zweite Knabe ist mindestens hin und wieder in Schlägereien verwickelt. Dies trifft auch auf etwa jedes fünfte Mädchen zu. Während bei Knaben der Einsatz körperlicher Gewalt häufiger ist, üben Mädchen eher indirekte und verbale Gewalt aus, etwa indem sie über andere schlecht reden oder Freundschaften zum sozialen Ausschluss Anderer benutzen. Etwa 9 Prozent der Kinder in der Studie setzen nach Angaben der Lehrperson oft oder sehr oft körperliche Gewalt gegen Andere ein und können daher als sozial auffällig bezeichnet werden. Bei ihnen besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für die Verfestigung problematischer Verhaltensmuster bis ins Jugendalter. In dieser Gruppe von Kindern sind Knaben im Verhältnis von 4 zu 1 sehr stark übervertreten.
Die Massnahmen Im Präventionsteil der Studie wurde ein Trainingsprogramm für die Eltern und ein Sozialkompetenzprogramm für die Schule durchgeführt und evaluiert. Beiden Programmen liegt ein universeller Ansatz zugrunde: Sie wurden allen Personen angeboten. Sie sollen damit eine breite Grundlage bilden, auf der intensivere Massnahmen aufbauen können. Beim evaluierten Elterntraining handelt es sich um Triple P, das in Australien entwickelt und 2000 in der Schweiz eingeführt wurde. Es zielt auf die Förderung der Erziehungskompetenz der Eltern. Dazu gehören gezieltes Loben, Grenzen setzen oder das Kind in einer sicheren Umgebung zu aktivem Spielen anregen. Das Training besteht aus einem Gruppenkurs von vier Abenden, anschliessenden Telefonberatungen und Hilfsmaterial. 301 Eltern von 220 Kindern benutzten das kostenlose Angebot und nahmen an mindestens einer Kurseinheit teil. Das sind 27 Prozent aller Eltern, denen der Kurs angeboten wurde. Die Elternkurse wurden auch auf Albanisch, Türkisch und Portugiesisch angeboten. Die fremdsprachigen Angebote waren hilfreich und führten zu einer besseren Teilnahme bei Eltern mit Migrationshintergrund. Dennoch blieben fremdsprachige bildungsferne Eltern unter den Kursteilnehmenden deutlich untervertreten. Für die Schulen wurde ein Programm zur Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen ins Deutsche übersetzt und an die schweizerischen Verhältnisse angepasst. Das Programm zur Förderung alternativer Denkstrategien (PFAD) übt beispielsweise das Erkennen und Artikulieren von Gefühlen, das Befolgen von Regeln und das nicht aggressive Lösen von Konflikten. Die Lehrpersonen unterrichteten PFAD während des Schuljahres jede Woche etwa zweimal. Die Motivation der Lehrpersonen war gross, aber der zusätzliche Zeitbedarf wurde oft als Problem empfunden. Besonders hilfreich war die intensive Betreuung jeder Lehrperson durch einen persönlichen Coach.
Wirkungen der angebotenen Programme Zur Evaluation der Wirkungen wurden die Gruppen, die zufällig für die Programme ausgewählt worden waren, mit den Kontrollgruppen verglichen. Ausserdem wurde berücksichtigt, ob die Eltern die Kurse tatsächlich besucht und wie motiviert und intensiv die Lehrpersonen das Kompetenztraining umgesetzt hatten. Die Analysen zeigen für das Elterntraining einige positive Effekte auf das elterliche Erziehungsverhalten, die auch noch über ein Jahr nach dem Kursbesuch bestehen bleiben. Bei den Eltern, welche die Kurse besucht haben, geht der Einsatz von körperlicher Bestrafung stärker zurück, die Väter und Mütter reagieren in Konflikten weniger impulsiv und berichten von einer Verbesserung des Familienklimas. Positive Effekte werden nur von jenen Eltern berichtet, welche mindestens drei Kurseinheiten besucht haben. Diese Wirkungen sind erfreulich, weil sie wichtige Risikofaktoren für problematische Entwicklungen ansprechen. Die Studie konnte hingegen bisher keine Wirkungen des Kursbesuchs auf das Verhalten des Kindes in der Beurteilung der Erziehungsperson finden. Auch in der Einschätzung der Lehrperson ergab sich im Vorher-Nachher-Vergleich des Problemverhaltens kein positiver Effekt. Die Lehrpersonen nahmen auch eine Einschätzung der positiven oder negativen sozialen Entwicklungstendenzen für das Kind vor. Hier zeigte sich eine positivere Entwicklung der Kinder von Eltern, die den Triple P Kurs besucht hatten. Dieses Ergebnis hat ein besonderes Gewicht, weil die Lehrpersonen nicht wussten, welche Eltern den Kurs besucht haben.
Für das Sozialkompetenztraining zeigt die Studie eine verbesserte Problemlösekompetenz der Kinder. In Modellsituationen suchen sie weniger häufig aggressive Lösungen als die Kinder der Kontrollgruppe. Auch die Eltern nehmen Verhaltensänderungen wahr, allerdings nur in jenen Klassen, in denen die Lehrpersonen das Programm motiviert und in guter Qualität umgesetzt haben. In diesen Klassen stellen die Eltern einen signifikanten Rückgang von aggressivem Verhalten sowie von nicht aggressiven Verhaltensweisen wie Lügen oder Stehlen fest. Die Lehrpersonen hingegen beobachten bisher im Vorher-Nachher-Vergleich des Problemverhaltens keine positiven Wirkungen. Es zeigte sich aber ein deutlich positiver Effekt in den Einschätzungen der sozialen Entwicklungstendenzen. In Klassen, in denen PFAD in guter Qualität umgesetzt wurde, nahmen die Lehrpersonen am Ende des Modellversuchs für 67 Prozent der Kinder eine positive Entwicklungstendenz wahr. In der Kontrollgruppe nahmen die Lehrpersonen bei 46 Prozent der Kinder Verbesserungen wahr. Schliesslich wurden die Lehrpersonen gebeten, Verhaltensprobleme an der Schule und das Klassenklima zu beurteilen. In den PFAD-Klassen beobachteten sie eine Verbesserung von schulischen Problemen.
Folgerungen aus dem Projekt Verhaltensprobleme von Kindern und Jugendlichen einschliesslich Jugendgewalt sind das Ergebnis des Zusammenwirkens vieler biologischer, psychischer und sozialer Einflüsse in verschiedenen Lebensphasen. Je mehr negative Einflüsse auf verschiedenen Ebenen (Per-sönlichkeit, Familie, Erziehung, Schule, Gleichaltrige) und in verschiedenen Entwicklungs-phasen zusammenkommen, desto grösser wird das Risiko für Fehlentwicklungen. Daher sollte Prävention auf mehreren Ebenen gleichzeitig und mit jeweils altersgerechten Pro-grammen ansetzen, um eine gesunde Entwicklung zu unterstützen. Die Vielfalt von Wirkfak-toren bedeutet aber auch, dass man von Einzelmassnahmen, selbst wenn sie gut umgesetzt werden, keine grossen Wirkungen erwarten darf.
Der Modellversuch hat gezeigt, dass mit den realisierten Programmen teilweise signifikante Effekte erzielt werden konnten. Das Elterntraining stärkte in einigen wichtigen Bereichen Erziehungskompetenzen. Allerdings sind die bisher nachgewiesenen Wirkungen für das Verhalten der Kinder nicht eindeutig. Dennoch bilden Elterntrainings ein wichtiges Instrument zur Unterstützung der Eltern. Wichtig wäre aber, verstärkte Bemühungen zu unternehmen, Eltern bereits bei der Geburt des ersten Kindes und im Kleinkind- und Vorschulalter für die Nutzung von Angeboten zu motivieren. Auch ist zu berücksichtigen, dass Eltern unterschiedliche Bedürfnisse haben und daher ein nach Intensität abgestuftes Angebot mit unterschiedlichen Ausrichtungen nötig ist. Besondere Anstrengungen sind notwendig, um bildungsferne Gruppen mit Migrationshintergrund besser für Anliegen der Elternbildung zu erreichen.
Für das Kompetenztraining an Schulen zeigte sich, dass die erzielten Wirkungen von der Motivation und fachlichen Unterstützung der Lehrperson abhängen. Entsprechend spielen gute Ausbildung, Motivation und Qualitätssicherung eine wichtige Rolle für die Wirksamkeit von Massnahmen. Da es wichtig ist, dass die Schule als Ganzes eine Massnahme unterstützt und engagiert umsetzt, ist es wenig ratsam, ein Kompetenztraining an Schulen obligatorisch einzuführen. Es sollte aber darauf geachtet werden, die Förderung sozialer Kompetenzen von Krippen über Kindergärten und Primarschulen bis zur Sekundarstufe in die Schulziele zu integrieren und durch altersgerechte Angebote zu unterstützen.
Die Kombination beider Programme erbrachte bisher nicht die erhofften Synergieeffekte. Dennoch legen Entwicklungsstudien nahe, dass Massnahmen am ehesten erfolgreich sind, wenn sie auf mehreren Ebenen ansetzen und vor allem Schule und Eltern zusammen einbeziehen. Vermutlich müsste noch mehr darauf geachtet werden, dass die Programme sehr sorgfältig aufeinander abgestimmt sind, was eine enge Zusammenarbeit zwischen den De-partementen bedingt. Die bisherigen Ergebnisse der Zürcher Entwicklungsstudie und des Modellversuchs machen deutlich, dass spezielle Präventionsprogramme nur einen Teilbeitrag leisten können, um Kinder in einer gesunden und positiven Entwicklung zu unterstützen.
Mitwirkung der Stadt Um zipps möglichst reibungslos umzusetzen, musste Roland Zurkirchen, Leiter Fachstelle für Gewaltprävention und Projektleiter z-ok im Schul- und Sportdepartement, eine umfangrei-che Organisation auf die Beine stellen. 41 Triple P-Kurse mussten organisiert und begleitet, die Räume für die Kinderinterviews zur Verfügung gestellt, die Ausbildung gewährleistet und der ständige Informationsaustausch zwischen Schulkindern, Eltern, Lehrpersonen, Behörden und Begleitgruppe sichergestellt werden. Für Roland Zurkirchen bestätigte sich, dass Erfolg nur mit vernetztem Vorgehen und motivierten Schlüsselpersonen möglich ist.
Mit RADAR auf dem richtigen PFAD Für Stadtrat Gerold Lauber, Vorsteher des Schul- und Sportdepartements, sind die Erkenntnisse aus den Programmen Triple P und PFAD sehr wertvoll. Vor allem bestätigen sie ihm, dass sein Departement mit dem Modell RADAR, das am 19. April der Öffentlichkeit vorge-stellt wurde, auf dem richtigen Weg ist. Seiner Ansicht nach kann PFAD ein Weg sein, die Sozialkompetenz bei der Schuljugend zu fördern. Da sich die Schule nach wie vor im Umbruch befindet (z. B. Integrative Förderung, Neue Sekundarschule, Tagesstrukturen), ist für ihn klar, dass auch die nötigen Ressourcen bereitgestellt werden müssen.
RADAR stärkt die Früherkennung, fördert die Integration und Vernetzung, setzt klare Regeln und setzt diese auch durch. Auch bei PFAD spielten die Regeln eine zentrale Rolle. Zipps bestätigt aber auch, dass die Integrationsangebote möglichst niederschwellig sein müssen, damit die Eltern tatsächlich erreicht werden können. Genau in diese Richtung zielen die Mo-dule für die Elternabende oder die modifizierten Deutschkurse, in denen auch schulnahe Themen behandelt werden. Bessere Integration und höhere Sozialkompetenzen erfordern von allen Beteiligten Ausdauer und Geduld. Stadtrat Lauber stellt sich deshalb auf einen langen Weg zum angestrebten Ziel ein.
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